Über die Malereien

Festzeit für Wölfe

Siedlungslogik und ihre Grenzen in den Bildern von Charlie Waylife/Kerstin Wegeleben (CW/KW)

Es gibt es so etwas wie eine große Verwerfung, einen großen Riss, eine Art Verwundung, die alle einigermaßen sensible Menschen in sich spüren. Laut Timothy Morton, der diese Verwerfung „the Severing“ nennt,  entsteht diese durch die Siedlungsgeschichte des Menschen, die nun seit etwa 12.000 Jahren kontinuierlich fortschreitet. Mit ihr ist ein Kulturraum entstanden, und gleichzeitig das Gegenteil davon, ein Naturraum und eine Wildnis, die geordnet, gezähmt und beherrscht werden muss.

Die Siedlung folgt einer Logik, deren Kern z.B. die Fabel von den drei kleinen Schweinchen illustriert. Drei Schweinchen werden von ihrer Mutter in die Welt geschickt, um ihr Glück zu machen. Das erste kleine Schweinchen baut ein Haus aus Stroh, aber ein Wolf pustet es nieder und verschlingt es. Das zweite Schweinchen baut ein Haus aus Stöcken, das der Wolf ebenfalls niederweht, und auch das zweite Schweinchen wird verschlungen. 

„Little pig, little pig, let me come in.“
„No, no, by the hair on my chinny chin chin.“
„Then I’ll huff, and I’ll puff, and I’ll blow your house in.“

Erst das dritte schlaue Schweinchen baut ein Haus aus Ziegelsteinen, das der Wolf nicht sprengen kann. Er versucht, das Schwein aus dem Haus zu locken, wird aber jedes Mal von diesem überlistet. Schließlich beschließt der Wolf, den Schornstein herunterzukommen, woraufhin das Schwein einen Topf Wasser auf den Kamin stellt. Der Wolf fällt hinein und stirbt im kochenden Wasser.

Party time for wolves!  

Bordercrossings of Settlement logic in the works of Charlie Waylife/Kerstin Wegeleben (CW/KW)

There is something like a great dislocation, a great tear, a kind of wound that all reasonably sensitive people feel inside. According to Timothy Morton (2017), who calls this the “Severing” it is caused by the history of human settlement which has now been progressing continuously for the last 12.000 years. With it, a cultural realm is created, and at the same time the opposite, a natural realm or wilderness, which must be ordered, tamed and controlled.

The settlement follows a basic assumption that can be illustrated, for example, by the fable of the three little pigs. Three little pigs are sent into the world by their mother to make their fortune. The first little piglet builds a house of straw, but a wolf blows it down and devours it. The second little pig builds a house of sticks, which the wolf blows down as well, and the second little pig is also devoured. 

„Little pig, little pig, let me come in.“
„No, no, by the hair on my chinny chin chin.“
„Then I’ll huff, and I’ll puff, and I’ll blow your house in.“

The third little pig builds a house of bricks, which the wolf cannot blow up. He then tries to lure it out of the house, but is outsmarted every time by the clever pig. Finally the wolf decides to come down the chimney, whereupon the pig puts a pot of water on the chimney and the wolf by boiling in the water.
Je schlauer das Schwein desto fester die Mauer, desto weniger Chancen hat der böse Wolf. Mit der Mauer geht der Glaube an die Beständigkeit der Dinge einher und der Glaube an eine Welt, die letztlich nur tote Materie ist und die, das EGO als einzig lebendiges Ich nach seinem Willen auf ewig gestalten und nutzen kann. Es geht folglich darum, das feste Haus immer bequemer und komfortabler zu gestalten und den bösen Wolf für immer auszumerzen. Schlaue Schweinchen wissen das.

So bringen wir unseren Kindern an die Illusion der Beständigkeit von Dingen zu glauben als essentiellen Kern von Siedlerlogik.

Die Bilder von CW/KW widersetzen sich dieser Logik. Sie laden zu einer Reise jenseits der Siedlung ein.  Das Gegenteil von Siedlungslogik ist z.B. die Made. Sie ist vom Boden, vom Klima und von vielen anderen Dingen abhängig, so wie wir auch. Wenn die Made günstige Bedingungen vorfindet, wie z.B. einen offenen Sack Mehl, wird sie zur tausendfachen Motte. Ohne sie gäbe es uns nicht und uns gibt es nur als Teil der Made und der Motte.

Die Geschichte von den drei kleinen Schweinchen lässt sich unter Einfluss der Bilder von CW/KW auch anders weiter erzählen. Im Haus der Schweinchen wohnt nämlich noch ein Schwein, dass sich weder im Haus noch in seiner Schweinshaut wohl fühlt, weil ihm die Borsten fehlen. Und während die anderen Schweinchen sich im festen Haus aus Stein gemütlich und sicher fühlen, kratzt dieses wilde Schweinchen so lange an der Wand, bis seine Klauen blutig sind. Nach und nach entstehen in der Wand tiefe Kratzer, die zu Rissen und Löchern werden. Dieses Schwein will kein Nutztier sein, sondern den Panzer aufsprengen, um sich in ihrer Wildheit zu spüren.

The smarter the pig, the stronger the wall, the less chance the big bad wolf has. This wall stands for the belief in the permanence of things within a world that is ultimately only dead matter and that the EGO as the only living thing. “I” can shape and use anything out there according to its own will forever. It is therefore a matter of making the permanent home ever more comfortable and convenient and of eradicating the bad wolf forever. Smart pigs know that.

In this way we teach our children to believe in the illusion of the permanence of things as the core assumption of settler logic.

The pictures of CW/KW resist this logic. They invite to a journey beyond the settlement.  The opposite of settlement logic is e.g. the maggot. It depends on the soil, the climate and many other things, just like we do. If the maggot finds favorable conditions, such as an open sack of flour, it becomes a thousand-fold moth. Without it we would not exist and we exist only as part of the maggot and the moth.

With regard to the works of CW/KW this story could be told in a differently. In the house of the little pigs lives a pig who does not feel comfortable in the house or in his pigskin because he is missing his bristles. And while the other little pigs feel comfortable and safe in the solid house made of stone, this wild little pig scratches the wall until his claws are bloody. Little by little deep scratches appear in the wall, which become cracks and holes. This piggy doesn’t want to be a farm animal. She rather wants to blow up this shell in order to feel the wilderness in- and outside of herself.

Viele Bilder von CW/KW haben mit Grenzerfahrungen zu tun. Es geht um Versuche, hinter die Grenze der Persona als Maske, d.h. persönlichen Existenz des scheinbar Zivilisiertem zu schauen, und damit auf dass, was unter dem Müll wächst, was sich hinter den schicken Fassaden des Wohlstands und Konsums verbirgt, um jene Welten und Wesen sichtbar zu machen, die sich jeder Form von  Siedlungslogik widersetzen, sie sprengen, auflösen, und den Menschen aus dem Denken als Wissens- und Warenproduktion zu entlassen (Michel Foucault). 

Die Serie „supermegawonderworld“ feiert die Wiederauferstehung einer Welt jenseits des Menschlichen.  Es sind vermüllte, verstrahlte Landschaften, Humus einer untergegangenen Zivilisation, oder dreidimensionale Aufrisse dessen, was Bruno Latour die „Kritische Zone“ nennt, da sich alles das Lebendige nur innerhalb dieses begrenzten Raums gegenseitig erhält. 

Durch diese kritischen Zonen streifen  Tiere (Bären, Pferde, Hunde, Wölfe, Hasen), die eine Art ontologischer Gewissheit ihrer Existenz ausstrahlen in Nachfolge der menschlichen Gattung. Der böse Wolf verwandelt sich hier in einen Boten und das treue Hündchen wird zur bösen Bestie, die Hasen zu bewaffneten Milizen. Überhaupt spielt CW/KW mit dem Trans- oder Posthumanen.

In der Serie „Tupperware Sky 1 + 2“, 2019, bewegt sich eine Figur, die so etwas wie eine humanoide Häsin zu sein scheint, durch eine Landschaft aus Plastik, Müll, als wäre dies ihr natürlicher Lebensraum.

Many pictures of CW/KW have to do with exploring borderlines. They may be attempts to look beyond the border of the persona as a mask, i.e. personal existence of the seemingly civilized, and thus to look at what is growing under the garbage, what is hidden behind the chic facades of wealth and consumption, in order to make visible those worlds and beings that defy any form of settlement logic, to blow it up, dissolve it, to dismiss thinking as knowledge and commodity production (Michel Foucault). 

The series „supermegawonderworld“ celebrates the resurrection of a world beyond the human.  They are littered, irradiated landscapes, humus of a perished civilization, or three-dimensional outlines of what Bruno Latour (2016, 2019) calls the „critical zone“, as everything that is alive only maintains itself mutually within this limited space or zone. 

Animals (bears, horses, dogs, wolves, rabbits) roam through these critical zones, radiating a kind of ontological certainty of their existence in succession to the human species. Wolves and Bears transforms into guides, lovers and messengers. Good dogs become evil beasts, and rabbits are armed militias. In general, CW/KW plays with the trans- or post humane.

In the series „Tupperware Sky 1 + 2“, 2019, a figure that seems to be something like a humanoid female bunny moves through a landscape of garbage as it would be its natural habitat.

 
Eine andere Häsin begegnet den Betrachtern  im Bild „Selfportrait Bunny“, das nur vordergründig dem Klischee des braven Häschens entspricht. Seine Unheimlichkeit breitet sich von den Rissen und Linien hinter dem dunkelgrünen Baum, die sich in den Hasenaugen spiegeln.

Wie eine Antithese auf dieses Mutterbild wirkt die „Queen of Bendy Woods“ 1+2 von 2019, deren Blick jede Form von Zivilisation zu vernichten scheint.

In den Serien „Walhalla“ und „Women behind your mirror“ untersucht CW/KW die Grenzen an anderen Stellen, insbesondere im Bereich der Geschlechtlichkeit, Religion  (Sweet Jesus 2019) und Sexualität (Huldra 3 + 4,  2017, Skinning 1+2, 2018).

„Zombie Woman“ (2014) und „Red Queen“ (2018) wirken dagegen wie stumme Hilferufe einer eingesperrten, blockierten Seele und gehören zu den expressivsten Bildern im Werk von CW/KW. 

Alle Porträts von CW/KW zeigen das Streben nach einer radikalen grenzüberschreitenden Erforschung von Selbst und Wirklichkeit. Die Selbstporträts „Gelb“ und „Dunkel“ versuchen, hinter die Maske des Persönlichen zuschauen, indem sie Farbe als eine Art Flüssigkeit verwenden, um den Schädel zu öffnen, um in der Tradition von Georg Büchner (1813-1837) zu schauen, was sich hinter unserer Stirn verbirgt. 

Im „Selbstportrait mit Chicken“ von 2017 stellt CW/KW sich in Symbiose mit einem Huhn mit blutigem Schnabel dar, dass sich von ihr nährt.

We encounter another bunny in the picture „Selfportrait Bunny“, which only superficially corresponds to the cliché of the well-behaved bunny. Its uncanniness spreads from the cracks behind the dark green tree that correspond to the bunny eyes.

The „Queen of Bendy Woods“ 1+2 from 2019, whose gaze seems to challenge any kind of civilization, appears as an antithesis to the cute bunny mom image.

In the series „Valhalla“ and „Women behind your mirror“, CW/KW explores the boundaries elsewhere, especially in the areas of religion (Sweet Jesus 2019) and sexuality (Huldra 3 + 4, 2017, Skinning 1+2, 2018).

„Zombie Woman“ (2014) and „Red Queen“ (2018) seem like mute cries for help from an imprisoned, blocked soul and are among the most expressive images in the work of CW/KW. 

All portraits of CW/KW display a strive for radical cross-border exploration of the self and its reality. The self-portraits „Yellow“ and „Dark“ try to look beyond the mask of the personal by using color as a sort of liquid to open up the skull in the tradition of Georg Büchner (1813-1837) to search for what lies behind our forehead.

In the „Self-Portrait with Chicken“ from 2017 CW/KW presents himself/herself in symbiosis with a chicken with a bloody beak that feeds on the artist.

Die größte Schockwirkung besitzt indes das Bild „Pink and Red Selfie“, das den Betrachter wie eine blutige Fratze im psychotischen Schub doch zugleich mit einer kalten und verachtenden Luzidität provozierend fixiert. Selbst schlaue Schweinchen haben hier keine Chance. Es ist Festzeit für Wölfe.

Marcus Kreikebaum

Literatur:

Timothy Morton: Human Kind. Solidarity with non-human beings, 2017

Bruno Latour: On not joining the dots: and…Earth—Globe—Gaia, Havard University, 2016 [https://www.youtube.com/watch?v=wTvbK10ABPI]

On Gaia 2.0/Down to Earth, Opening plenary talk by Bruno Latour from the Lovelock Centenary conference July 2019 University of Exeter, [[https://www.youtube.com/watch?v=Fmonvx9dV_E]

The greatest shock effect yet achieves „Pink and Red Selfie“, which looks at the viewer like a bloody grimace in a psychotic episode, yet at the same time provocatively with a cold and contemptuous lucidity. Even clever little pigs don’t stand a chance here. It is party time for wolves. 

Marcus Kreikebaum

Literature:

Timothy Morton: Human Kind. Solidarity with non-human beings, 2017

Bruno Latour: On not joining the dots: and…Earth—Globe—Gaia, Havard University, 2016 [https://www.youtube.com/watch?v=wTvbK10ABPI]

On Gaia 2.0/Down to Earth, Opening plenary talk by Bruno Latour from the Lovelock Centenary conference July 2019 University of Exeter, [[https://www.youtube.com/watch?v=Fmonvx9dV_E]